Vor 150 Jahren begab sich der junge König auf eine denkwürdige Zugreise durch Franken. Überall jubelten die Menschen ihm zu – aus Nürnberg wollte er gleich gar nicht mehr weg.
Von Olaf Przybilla
Die Behördenverlagerung nach Franken gilt als modernes Machtinstrument der Staatsregierung, das zwar für Ärger sorgen kann, auf Dauer aber hilft, die Herrschaft im Land zu sichern. Umweltamt nach Hof, Heimatministerium nach Nürnberg, Statistisches Landesamt nach Fürth, demnächst womöglich Gesundheitsministerium nach Franken – das alles sorgt für allerlei Querelen, folgt aber dem erfolgreichen Motto divide et impera, teile und herrsche.
Was weithin unbekannt ist: Hätte König Ludwig II. einen Plan verfolgt, der offenbar während seiner Frankenreise in ihm reifte, dann hätte das Land seine extremste Behördenverlagerung bereits seit 150 Jahren hinter sich. Und dann könnten heute womöglich Behörden nur in die entgegengesetzte Richtung verlagert werden: von Bayerns Norden in Bayerns Süden.
Die Frankenreise Ludwigs war die erste bedeutende Dienstreise des jungen Königs, und sie war anfangs nur in Maßen eine freiwillige. Der „Bruderkrieg“ von 1866 war verloren, und am meisten darunter gelitten hatten die Gebiete in Franken, ausgerechnet jene Regionen also, die Bayern erst 60 Jahre zuvor zugeschlagen worden waren.
Die Stimmung, so war es in München zu hören, näherte sich in den nördlichen Herrschaftsregionen einem bedrohlichen Tiefpunkt. Sogar erste Gerüchte machten die Runde, denen zufolge die vom Krieg geschundenen fränkischen Untertanen einen Abfall von Bayern planen könnten.
Alles keine Vorzeichen für eine unbeschwerte Reise ins Land der Franken also, zumal es mit der Stimmung in München nach dem Krieg 1866 ebenfalls nicht zum Besten stand, eine Anwesenheit des Königs strategisch also durchaus angemessen zu sein schien. Trotzdem fasste die Regierung in dieser Lage den Entschluss, dass die „märchenhafte Schönheit“ des 21-jährigen Königs am gewinnbringendsten im Norden des Bayern-Reiches einzusetzen sei – um wenigstens die Herzen der Franken zurückzugewinnen, falls man diese überhaupt schon gewonnen hatte.
Die Exkursion wurde zu einem Triumphzug
Ludwig II. brach also in einem eigens für die Reise gebauten Hofzug gen Norden auf, zur Verfügung standen ein königlicher Salonwagen, ein Terrassenwagen mit Promenadendecks und etliche Gepäck-, Heiz- und Gefolgewaggons. Es ist nicht ganz eindeutig, ob die Renitenz und Übellaunigkeit, die den Franken im Süden nachgesagt worden und ja ursprünglicher Anlass der Reise gewesen war, nur eine Erfindung interessengeleiteter Einflüsterer bei Hofe war. Oder sich die zuvor im Frankenland tatsächliche verbreite Süd-Skepsis im Angesichts eines schicken Monarchen aus dem Stand in Euphorie verwandelte.
Jedenfalls glich die Königsexkursion quer durch Franken einem Triumphzug – mit zum Teil kaum vorhersehbaren Exzessen der Ehrerbietung. In Münchberg bei Hof etwa war ein Halt des Königs nicht vorgesehen, Ludwig verbrachte zwar etliche Wochen im Frankenland, die Größe dieser Kommune ließ freilich längeres Aufhebens schon grundsätzlich nicht angemessen erscheinen.
Der Jubel trieb kuriose Blüten
Das traf den Münchberger Bürgermeister offenbar so schwer, dass er sich erst beim zuständigen Bezirksamt beschwerte (heute würde man sich in solcher Angelegenheit vermutlich den CSU-Kreisvorsitzenden vorknöpfen). Und als auch das nichts half, forderte er alle Münchberger auf, sich trotz widrigen Winterwetters am fahnengeschmückten Ortsbahnhof einzufinden. Er selbst trat in Frack und Zylinder ans Gleis und legte sich, als der Königszug endlich in Sichtweite war, zu allem entschlossen auf die Schienen.
Angeblich soll der Königszug nur per Vollbremsung zum Stehen gekommen und Ludwig II. milde lächelnd am Fenster seines Salonwagens erschienen sein. Nach kurzem Wortwechsel mit dem todesmutigen Bürgermeister versprach der König einen kurzen Aufenthalt auf der Rückfahrt und löste diesen tatsächlich ein.
Der Jubel in Franken trieb „bisweilen schon kuriose Blüten“, sagt Erich Adami, Autor des Buches „König Ludwig II. – seine triumphale Reise durch Franken“. Nach den Stationen in Bayreuth, Hof, unfreiwillig auch Münchberg, Bamberg, Kissingen, Hammelburg, Aschaffenburg, Würzburg und Fürth war schließlich Nürnberg End- und Höhepunkt der Frankenreise. In der heimlichen Hauptstadt des Alten Reiches absolvierte Ludwig neun Tage lang ein ausgetüfteltes Kulturprogramm und war von den Franken offenbar so angetan, dass er mit dem Gedanken zu spielen begann, seinen Hauptsitz nach Nürnberg zu verlagern.
Im gotischen Zimmer auf der Kaiserburg holt er zwei Tage vor der Rückreise zum Hymnus auf Nürnberg aus – und zur Tirade auf München. In einem Brief an Richard Wagner schreibt der König: „In keiner Stadt fühle ich mich so heimisch wie hier. Die Bevölkerung ist intelligent und durchaus edel, unterscheidet sich darin so vorteilhaft von dem Münchner Plebs!“
Und es wird noch heftiger: „Wenn“, schreibt der König, „was mir nun leider völlig unbezweifelbar klar erscheinen muss, in München nie und nimmer Heil unserem Wirken erblühen kann, so will ich den größten Teil des Jahres in Zukunft hier zubringen, hier im geliebten Nürnberg, das mir täglich teurer wird.“ Und weiter: „Hier muss dereinst der große Kunsttempel sich erheben, hier wollen wir die deutsche Kunstschule errichten.“ Schließlich: „Hierher nach dem ehrwürdigen, heiligen Nürnberg will ich kommen, um nimmer vom Freunde zu scheiden.“ Das entsprach alles so ziemlich einem Gedanken Wagners, der Ludwig zuvor den Plan vorgestellt hatte, die Residenz aus dem „ultramontanen“, also überaus katholischen München ins protestantische Nürnberg zu verlegen.
Der Umzug war eine Idee, mehr nicht
Mit welchen folgenreichen Gedanken der junge König da offenbar spielte, machte bald in München die Runde. Unmittelbar nach seiner Abreise aus Franken veröffentliche ein Münchner Blatt das Gerücht, der König habe bereits angeordnet, am Nürnberger Dutzendteich eine Villa bauen zu lassen. Der Text wurde von anderen Blättern umgehend dementiert. Wie er entstand, ist schwer nachzuvollziehen. Das Thema aber war offenkundig in der Welt.
Stand das Land vor 150 Jahren auf der Kippe – Provinzstadt München, Residenzstadt Nürnberg? Ludwig-Biograf Alfons Schweiggert glaubt das eher nicht. „Das war eine Gedankenspielerei“, sagt er, die der König ernsthaft verfolgt hätte, wenn er nicht „extremen Widerstand“ hätte fürchten müssen. Das aber musste er zweifellos. Und sich dagegen durchzusetzen, fehlte dem König „die Durchsetzungskraft“.
Quelle: Süddeutsche Zeitung