Der letzte Brief von Ludwig II
BRIEF BEFEUERT DIE MYTHEN UM DEN MÄRCHENKÖNIG
Ludwigs letzte Zeilen, im Geheimen Hausarchiv der Wittelsbacher aufgetaucht, zeigen, wie dramatisch die letzten Tage des Königs abliefen.
Der Brief von König Ludwig II. im Wortlaut:
König Ludwig II. an seinen Vetter Prinz Ludwig Ferdinand
am 10. Juni 1886 aus Schloss Neuschwanstein
„Theuerster Vetter!
Vergib die schlechte Schrift, ich schreibe dieß in höchster Eile. Denke Dir was Unerhörtes heute geschehen ist!! – Diese Nacht kam eilends einer vom Stallgebäude herauf u. meldete, es wären mehrere Menschen (darunter horribile dictu) ein Minister u. eine meiner Hofchargen in aller Stille angekommen, befahlen meinen Wagen u. Pferde hier (von der oberen Burg) wegzunehmen hinter meinem Rücken, u. wollten mich zwingen nach Linderhof zu fahren, offenbar u. mich dort gefangen zu halten, u. Gott weiß was wohl zu thun, Abdankung zu ertrotzen kurz ein schändliche Verschwörung! Wer kann nur hinter einem solchen Verbrechen stecken, Prz. Luitpold vermuthlich.
Durch Gensdarme u. Feuerwehr, die sich tapfer entgegenstemmen war dieß vorläufig vereitelt. Die Schand-Rebellen wurden arretirt. Behalte dieß Alles bitte vorläufig für Dich. Wie kann aber eine solche Infamitität nur möglich sein!! Bitte forsche selbst u. durch Andere Verlässliche darauf!
Hättest Du so etwas für möglich! gehalten. Schon früher schrieb ich Dir daß ich über absichtlich mit Geld herumgestreute Gerüchte über mich (angebliche Krankheit) an der nicht Sylbe wahr ist p) gehört habe. Es ist zu arg. Es muß Licht in diesen Abgrund von Bosheit kommen! In felsenfestem Vertrauen i. inniger Liebe
Dein
Hohenschw. getreuer Vetter
10. Juni 86
Ludwig
___________________________________________
War nun alles ganz anders? Natürlich nicht. Der mutmaßlich letzte Brief Ludwig II. hebt die bisherige Ludwig-Forschung nicht aus den Angeln. Aber er wirft neues Licht auf die letzten Tage des Monarchen, der am 13. Juni 1886 unter bis heute nicht geklärten Umständen im Starnberger See starb. Der Brief ist nicht so neu, wie es scheint. Er wurde in der Literatur schon zitiert, aber nie der ganze Wortlaut. Jetzt liegt das Dokument, es hat ein DinA 4-Format und ist mit Tinte beschrieben, im Geheimen Hausarchiv der Wittelsbacher, das dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv angeschlossen ist. Es ist für die Forschung einsehbar. Der Brief war bisher im Privatbesitz eines Angehörigen des Hauses Wittelsbach – der Name wird im Archiv als Diskretionssache behandelt – und kam im Zuge eines Tauschhandels in Besitz des Wittelsbacher Ausgleichsfonds, der das Geheime Hausarchiv untersteht. Ein Faksimile ist im Museum der bayerischen Könige in Hohenschwangau zu sehen.
Der erste, der die Witterung aufnahm, war der CSU-Politiker Peter Gauweiler, ein glühender Ludwig-Verehrer, der aus dem Schreiben weitreichende Schlüsse zieht: „Der Brief belegt, dass der König geistig klar genug war, die ihm drohende Gefahr zu erkennen; er fand aber anschließend nicht die Willenskraft, entsprechend zu handeln.“
Rückblick: Am 9. Juni 1886 tagt in München der Ministerrat unter Ministerpräsident Johann Freiherr von Lutz. Einstimmig beschließt das Gremium die Absetzung Ludwig II. und die Übernahme der Regentschaft durch Prinz Luitpold, dem späteren Prinzregenten. Am 10. Juni wird das öffentlich bekannt gemacht. Auch Ludwig II. bekommt in der Einsamkeit von Schloss Neuschwanstein davon Wind. Während sich eine Staatskommission mit dem Professor für Psychiatrie Bernhard von Gudden, seinem Assistenten und vier Irrenpflegern mit Zwangsjacke, Fußfesseln und sogar Chloroform auf den Weg machte, vor Ort aber von Gendarmen verhaftet wurden, setzte sich Ludwig an seinen Schreibtisch. Er startete eine Art Hilferuf an einen seiner wenigen Vertrauten in der Familie, seinen Vetter Prinz Ferdinand Ludwig in München. „Denke was Unerhörtes heute geschehen ist!!“, schrieb Ludwig. Er berichtete über „eine schändliche Verschwörung“ und dass die „Schand-Rebellen“ gefangen genommen worden seien. „Wie kann aber eine solche Infamität nur möglich sein!!“, stöhnte der König. „Es ist zu arg. Es muß Licht in diesen Abgrund von Bosheit kommen!“ – und das sollte sein Vetter durch eigene Nachforschungen forcieren.
Wer steckt hinter dem Komplott?
Es kam bekanntlich anders: Der Brief erreichte Ferdinand Ludwig zwar noch. Für irgendeine Reaktion war es aber zu spät, wie der Leiter des Geheimen Hausarchivs, Gerhard Immler, unserer Zeitung sagt. Er sagt auch, dass Ludwig zwar die Verschwörung klar erkannt habe, über die Hintergründe aber wohl nicht gut informiert war. Ludwig nahm nämlich an, dass „vermuthlich“ Prinz Luitpold, der spätere Prinzregent, dahinterstecke. „Treibende Kraft“ hinter der Entmündigung und Absetzung des Königs, so Immler, war jedoch der Vorsitzende des Ministerrats, Johann Freiherr von Lutz. Auch in Details irrte Ludwig II.: So berichtet er in seinem Brief, dass er wohl nach Linderhof gebracht werden solle. Doch wegen der einsamen Lage und der begrenzten Kontrollmöglichkeiten, schreibt der Psychiatrie-Professor Heinz Häfner in seinem Buch „Ein König wird beseitigt“, hatte Gudden umdisponiert und Schloss Berg ausgesucht.
Am 10. Juni ist es aber noch nicht soweit: Mit seinem Vertrauten Alfred Graf Dürckheim-Montmartin berät sich Ludwig – der Flügeladjutant schlägt dem König vor, sich schnellstens nach München zu begeben und sich direkt an die Untertanen zu wenden. Das weist Ludwig ebenso zurück wie die Idee, nach Tirol zu fliehen. Er „fügt sich offensichtlich in sein Schicksal, von Selbstmordgedanken getrieben und von der Angst von Mordanschlägen geplagt, aber ohne jede Kraft zum Widerstand“, wie der Historiker Hermann Rumschöttel meint. Die schnell wieder frei gesetzte Fang-Kommission startete einen zweiten Versuch, und diesmal, am 11. Juni gegen Mitternacht, klappte es: Drei Pfleger nahmen den König in durchaus ruppiger Manier fest. „Majestät, es ist die traurigste Aufgabe meines Lebens“, seufzte Gudden angeblich, ehe er dem König über die totale Entmachtung informierte. Am Morgen des 12. Juni wurde Ludwig mit einer Pferdekutsche nach Berg gebracht, wo er nach neun Stunden Fahrt eintraf – die Götterdämmerung nahte.
Was kann nun aus dem Brief abgelesen werden? Wer solche Sätze schrieb, war wohl nicht komplett geistig umnachtet wie etwa Ludwigs unglücklicher Bruder Otto. Paranoid, so die damalige Diagnose Guddens, war Ludwig nicht. Gesund aber auch nicht. Es gibt begründete Vermutungen etwa über eine soziale Phobie, der Psychiater Häfner diagnostizierte auch exzessive Suchtformen (Bausucht) bei Ludwig.
Der König war krank, aber nicht geistig umnachtet, seine Entmündigung damit aber nicht zu rechtfertigen – das muss man nach heutigen Maßstäben wohl festhalten. „Ganz offen liegt, dass die exekutiven Träger der Staatsaktion eigentlich alles missachtet, gebeugt und gebrochen haben, was zu dieser Zeit – wir schreiben das Jahr 1886 – im Deutschen Reiche und im Königreich Bayern Recht war“, schreibt Peter Gauweiler. „Was damals in Bayern stattfand, war ein Staatsstreich.“
Quelle: www.merkur.de