Das Schloss Herrenchiemsee

Das Neue Schloss Herrenchiemsee befindet sich auf Herrenchiemsee, der größten Insel des Chiemsees im südlichen Bayern. Nach der früheren Bezeichnung der Insel wird es auch gelegentlich als Neues Schloss Herrenwörth bezeichnet. Das Gebäude wurde ab 1878 unter dem sogenannten Märchenkönig Ludwig II. nach dem Vorbild des Schlosses von Versailles bei Paris erbaut. Die Entwürfe für den historistischen Bau stammen vorwiegend vonGeorg von Dollmann, die Ausführung übernahm Julius Hofmann. Schloss Herrenchiemsee war das letzte große Bauprojekt Ludwigs II., er bewohnte es nur wenige Tage. Die Arbeiten endeten mit dem Tod des Königs 1886, das Gebäude blieb in weiten Teilen unvollendet.

Schloss Herrenchiemsee untersteht der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen. Es ist für die Öffentlichkeit zugänglich, die Gartenanlagen und die Innenräume können besichtigt werden. Im Südflügel des Schlosses befindet sich seit 1987 das König Ludwig II.-Museum.


Vorgeschichte des Schlossgeländes und Entwürfe 

Geschichtlicher Überblick

Die auch als Herreninsel und Herrenwörth bekannte Insel Herrenchiemsee befand sich seit dem Mittelalter im Besitz des zum Bistum Chiemsee gehörenden Klosters Herrenchiemsee. Die Konventgebäude liegen im nördlichen Bereich der Insel. Durch die 1803 erfolgte Säkularisation und einem anschließenden Verkauf des Klosters gelangten sie an den Mannheimer Kaufmann Carl von Lüneschloß. Die früheren Klostergebäude wurden in den Folgejahren zum Teil abgebrochen, zum Teil zum sogenannten Alten Schloss Herrenchiemsee umgestaltet. Das Schloss und die Insel befanden sich von 1840 bis 1870 im Besitz des Grafen von Hunoltstein, der das Anwesen 1870 zum Verkauf anbot. Der Käufer war eine in Württemberg ansässige Holzverwertungesellschaft, die eine Abholzung des kompletten Baumbestandes der Insel anstrebte.[1] Die Maßnahmen stießen bei der Bevölkerung auf Ablehnung und fanden in der regionalen Presse heftigen Widerspruch, wodurch der bayerische König Ludwig II. auf die Insel aufmerksam wurde.

Der junge König unternahm im Sommer 1867 eine längere Reise nach Frankreich, auf welcher als ein Höhepunkt der Besuch von Schloss Versailles geplant war. Durch den plötzlichen Tod seines Onkels Otto wurde Ludwig II. jedoch zur Rückkehr gezwungen, ohne das Schloss, mit dessen Geschichte er sich bereits seit Jahren intensiv beschäftigt hatte, gesehen zu haben. Im Dezember 1868 ließ er sich von Georg von Dollmann erstmals Entwürfe für ein Refugium nach dem Vorbild des französischen Schlosses vorlegen, für das als Bauplatz das Graswangtal in der Nähe von Schloss Linderhof vorgesehen war. Dieses Projekt wurde alsMeicost Ettal oder auch als Tmeicos Ettal bezeichnet, wobei es sich um ein Anagramm des angeblichen Sinnspruchs des französischen Königs Ludwigs XIV.handelte: „L’état c’est moi“ (Der Staat bin ich).

Ludwig II. ließ die Entwürfe für das Schlossprojekt mehrfach überarbeiten. Zu Beginn der Planungen wünschte der König noch einen Pavillon, der sich in seiner Größe an den Trianon-Schlössern oder an Marly-le-Roi orientieren, doch bereits eine verkleinerte Kopie des Spiegelsaals und der Versailler Gartenfassade enthalten sollte. Die vorgestellten Entwürfe befriedigten Ludwig II. jedoch nicht und wurden mit jeder Überarbeitung aufwändiger.Aufgrund des mangelnden Platzes im Graswangtal konnte das Schloss im letztlich gewünschten Umfang dort nicht realisiert werden und der König ließ die Planungen zugunsten des Ausbaus von Linderhof ruhen.

Der sechste Entwurf Georg von Dollmanns zeigt eine um einige Achsen reduzierte Variante der Versailler Gartenfront und verfügt noch über ein später verworfenes Mansarddach; Zeichnung um 1868/69.

Nachdem eine weitere geplante Reise nach Frankreich 1870 wegen der instabilen politischen Lage – in jenem Jahr brach der Deutsch-Französische Krieg aus – abgesagt werden musste, besichtigte Ludwig II. Versailles endlich im Sommer 1874. Die französische Regierung ehrte den Staatsgast anlässlich seines Geburtstags am 29. August mit einer Vorführung der Versailler Wasserspiele.Unter dem Eindruck des Besuchs schrieb er im Herbst 1874 an den Grafen Dürckheim-Montmartin:

„…wie an einen wundervollen Traum gedenke ich an meine Reise nach Frankreich, das endlich erschaute, angebetete Versailles.“

Nach dem Besuch trieb Ludwig II., der das Interesse an Meicost Ettal nie verloren hatte, die Fortführung des Projektes erneut an. Der König hatte im Jahr zuvor bereits die Herreninsel im Chiemsee für 350.000 Gulden erworben. Obwohl ihm die flache Seenlandschaft des Chiemgaus weniger zusagte als die Bergwelt Linderhofs, erwies sich die Insel aufgrund ihrer Größe und relativen Abgeschiedenheit als idealer Standort für die Wiederaufnahme des Bauprojektes. Aus dem anfänglichen Pavillon für das Graswangtal wurde im Planungsverlauf so zunächst ein das Corps de Logis von Versailles zitierender einflügeliger, dann hufeisenförmiger Bau und schließlich eine umfangreiche Variante des französischen Schlosses mit breit ausladenden Nebenflügeln. Insgesamt durchliefen die von Dollmann entwickelten Pläne für das neue Schloss 13 Entwürfe.

Das Schloss unter Ludwig II.

Der Grundstein für das Neue Schloss wurde am 21. Mai 1878 gelegt. Um die Arbeiten während der Bauphase besichtigen zu können, hielt sich der König in unregelmäßigen Abständen im Alten Schloss Herrenchiemsee auf, dort ließ er sich für diesen Zweck eine kleine Wohnung einrichten. Nach einem ersten Besuch der Insel im Jahr 1875 kehrte er anlässlich der Übergabe des soeben vollendeten Prunkschlafzimmers 1881 zurück und verbrachte von da an bis 1885 jeweils im Herbst eines Jahres einige Tage auf Herrenchiemsee.

Der sogenannte Sonnenkönig Ludwig XIV., der Bauherr des Versailler Schlosses, war das große Idol des bayerischen Königs. So wie die „Ritterburg“ Schloss Neuschwansteineine Reminiszenz an die Welt des Mittelalters und die Werke Richard Wagners darstellte, war das Neue Schloss Herrenchiemsee als Denkmal für die französischen Bourbonenkönige gedacht. Beide Schlösser standen im Verständnis des Königs symbolisch für das von ihm verklärte Gottesgnadentum, die uneingeschränkte und durch den christlichen Gott legitimierte Herrschergewalt, über die Ludwig II. als Staatsoberhaupt einer Konstitutionellen Monarchie nicht verfügte. Ähnlich wie schon Neuschwanstein einige Jahre zuvor, sollte auch Schloss Herrenchiemsee weder als Regierungssitz dienen, noch einen Hofstaat aufnehmen. Es war trotz seiner Größe lediglich als private Residenz des zurückgezogen lebenden Königs geplant, der sich zumeist nur von wenigen Bediensteten versorgen und die Regierungsarbeit weitgehend durch seine Hofsekretäre erledigen ließ. Damit stand das neue Schloss auf der Herreninsel im Kontrast zum Vorbild, dem von mehreren tausend Menschen bewohnten Versailles, in dem es keine Privatsphäre gab und das über einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren das gesellschaftliche, kulturelle und politische Zentrum Frankreichs bildete.

Der frühe Tod Ludwigs II. im Sommer 1886 verhinderte, dass er den mit enormem Aufwand errichteten Palast dauerhaft nutzen konnte. Der König bewohnte das Schloss erst nach der Fertigstellung seiner privaten Wohnräume und hielt sich dort nur für wenige Tage vom 7. bis zum 16. September 1885 auf. In dieser Zeit empfing er die Schauspielerin Marie Dahn-Hausmann als Gast. Die Besuche des Königs erforderten eine aufwendige Organisation; der Spiegelsaal musste für ihn allabendlich illuminiert und das Treppenhaus mit üppigen Blumenarrangements geschmückt werden. Bemalte Leinwände verbargen die noch unvollendeten Bereiche der Gartenanlagen und die unausgebauten Räume des Schlossinneren.

Schloss Herrenchiemsee war das kostspieligste der Schlösser Ludwigs II., der seine Bauten mit seinem Privatvermögen, den Einnahmen aus seiner Zivilliste, den auf denKaiserbrief folgenden Subsidien und letztlich auch mit zahlreichen Krediten finanzierte. Die Kostenvoranschläge für das Schloss beliefen sich ursprünglich auf 5,7 Millionen Mark, doch wuchsen die Ausgaben bis zum Tode des Königs nahezu auf das Dreifache, nämlich auf 16,6 Millionen Mark an. Damit war Herrenchiemsee teurer als Linderhof und Neuschwanstein zusammen, für die insgesamt rund 6,7 Millionen veranschlagt und schließlich 14,7 Millionen Mark ausgegeben wurden. Allein die Kosten für das Prunkschlafzimmer beliefen sich auf 384.000 Gulden und in den Innenräumen sind mehr als 4,5 Kilogramm Blattgold verarbeitet. Die hohen Schulden brachten den König an den Rand des Bankrotts und führten in Verbindung mit seiner zunehmenden Unlust am Regierungsgeschäft schließlich zu seiner Absetzung 1886. Die oft vertretene Behauptung, Ludwig II. habe mit seinen Schlössern den bayerischen Staatshaushalt ruiniert, ist dagegen unwahr. Faktisch förderten die zahlreichen Aufträge für die königlichen Bauten sogar die bayerische Wirtschaft. Soweit möglich, wurden die meisten Aufträge innerhalb des Königreichs vergeben, München entwickelte sich dadurch zu einem der führenden Zentren des Kunsthandwerks im deutschen Sprachraum.

Öffentliche Nutzung des Schlosses

Lageplan der Insel Herrenchiemsee mit dem Alten und dem Neuen Schloss

Ludwig II. wollte Schloss Herrenchiemsee, wie auch seine anderen Bauten, nie für die Öffentlichkeit zugänglich machen und wünschte, dass die Schlösser nach seinem Ableben zerstört werden sollten. Die Nachlassverwaltung öffnete die Bauten jedoch schon wenige Wochen nach dem Tode des Königs und gab sie im August 1886 zur Besichtigung frei. Eine bedeutende Rolle in der bayerischen Landesgeschichte hat das nur wenige Tage als königliche Residenz dienende Bauwerk nie gespielt, es wird seit seiner Öffnung nahezu durchgehend als Museum genutzt. Nach dem Ende der Monarchie wurde das Schloss 1918 der sogenannten Verwaltung des ehemaligen Kronguts übergeben, aus der 1932 die bayerische Schlösserverwaltung hervorgegangen ist. Die Zeit der Weltkriege überstand das fernab der Kriegsschauplätze gelegene Neue Schloss ohne Zerstörungen, 1948 tagte der Verfassungskonvent zur Vorbereitung des Grundgesetzes im benachbarten Alten Schloss.

Das oft als Bayerisches Versailles bezeichnete Schloss gehört zusammen mit Linderhof und Neuschwanstein zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten Deutschlands. 2009 verzeichneten die drei „Ludwig-Schlösser“ zusammen 2.131.482 Besucher, im Neuen Schloss Herrenchiemsee konnten 435.451 Besucher gezählt werden. Die Schlösserverwaltung hat in der Zeit von 1965 bis 2006 mehr als 53 Millionen Euro in die Liegenschaften der Herreninsel mit dem historischen Gebäudebestand investiert. Schloss Herrenchiemsee stand 2011 unter dem Motto Götterdämmerung – König Ludwig II. und seine Zeit im Mittelpunkt der Bayerischen Landesausstellung, in diesem Zusammenhang wurden seit 2010 der Marmorhof restauriert und bis 2011 neue Ausstellungsräume im unvollendeten Nordflügel eingerichtet. Für den Ausbau des Nordflügels, der bisher als Depotfläche der Schlösserverwaltung diente, wurden 4,9 Millionen Euro bereitgestellt. Eine Aufnahme der drei Königschlösser in die Liste desWeltkulturerbes der UNESCO wird seit 2008 angestrebt.

Schloss Herrenchiemsee ist ganzjährig geöffnet. Die unter Ludwig II. eingerichteten Zimmerfluchten können im Rahmen von regelmäßigen Führungen besichtigt werden. Mehrere der unvollendeten Räume des Südflügels beherbergen seit 1987 ein König Ludwig II. gewidmetes Museum, das sich in zwei Themenkreisen mit dem Leben des Königs und seinen Bauwerken befasst. Einer der Höhepunkte der Ausstellung ist das mit Originalteilen rekonstruierte erste Schlafzimmer des Königs aus Schloss Linderhof, das dort zugunsten des späteren größeren Schlafzimmers 1884 ausgebaut wurde. Schloss Herrenchiemsee ist außerdem alljährlicher Veranstaltungsort der Herrenchiemsee-Festspiele im großen Spiegelsaal. Die Herreninsel ist ausschließlich auf dem Wasserweg erreichbar, die Anlegestelle am Alten Schloss wird von Fahrgastschiffen aus Prien am Chiemsee angefahren.

Das Schloss

Das Schlossgebäude

Die Entwürfe für das Schloss entstammen den Plänen Georg von Dollmanns, der 1878 als ausführender Architekt verpflichtet und 1884 durch Julius Hofmann abgelöst wurde. Am Ostufer der Herreninsel wurde zur Unterstützung der Bauarbeiten ein durch Dampfmaschinen betriebenes Sägewerk eingerichtet, der Transport des Baumaterials erfolgte über eine eigens dafür verlegte Hilfseisenbahn. Das Schlossgebäude ist aus gemauertem Backstein errichtet; die Fassaden sind verputzt, beziehungsweise mit Naturstein verkleidet. Ein Teil des benötigten Materials konnte direkt auf der Insel aus einem früheren Steinbruch des Klosters gewonnen werden. Die Arbeiten am dreiflügeligen Hauptgebäude begannen im Frühling 1878, der Rohbau war bereits im Januar 1879 eingedacht und bis 1881 konnten die äußeren Fassaden mit ihrem Bauschmuck verkleidet und vollendet werden. Der Ausbau der Innenräume erfolgte bis 1885.

Der Außenbau

Das Schloss präsentiert sich als Baukörper in einfachen Grundformen. Das Gebäude ist dreigeschossig und besteht aus drei nahezu quaderförmigen Flügeln, die hufeisenförmig einen Ehrenhof umschließen. Auf den nach Westen zur Gartenanlage ausgerichteten, 23-achsigen Mitteltrakt folgen seitlich anschließend der Nord- und der Südtrakt mit jeweils 18 Achsen.

Die fast 100 Meter breiten Garten- und die kürzeren Seitenfronten kopieren nahezu exakt das Vorbild des Corps de Logis des Versailler Schlosses und folgen damit dem Stil des Klassizistischen Barocks. Die blockhaften Fassaden vermitteln durch ihre wenig akzentuierte Gestalt einen strengen Eindruck und werden lediglich durch flach aus dem Gebäudekörper hervorspringende, niedrige Risalite aufgelockert. Das Erdgeschoss ist zurückhaltend in schlichten Formen gestaltet, die darüber liegende Beletagemit den Prunkräumen ist durch hohe Bogenfenster, Pilaster und Säulenstellungen betont. Das oberste Stockwerk des Schlosses ist als Attikageschoss ausgeführt und von einer umlaufenden, mit Vasen und Trophäendarstellungen geschmückten Balustradegekrönt, hinter der sich die flachen Dächer verbergen. Der Figurenschmuck stellt Allegorien der Tugenden, der Wissenschaften, der Berufsstände und der Künste dar.

Während die Gartenfassaden des Bauwerks das Versailler Schloss nachahmen, musste mit den Hoffassaden für Herrenchiemsee eine eigene Lösung entwickelt werden. Das Schloss von Versailles war das Ergebnis einer mehrere Jahrzehnte währenden Bautätigkeit. Der dortige Marmorhof bildete das Kernstück einer gewachsenen Anlage, die aus einem kleinen JagdschlossLudwigs XIII. hervorgegangen war. Die Gebäude um diesen Marmorhof waren noch im Stil des unter Ludwig XIII. herrschenden französischen Frühbarocks gestaltet, an dessen Formen Ludwig II. für sein Refugium auf der Herreninsel kein Interesse zeigte. Die Hoffassaden Herrenchiemsees übernehmen vom Versailler Vorbild nur noch den von acht Säulen getragenen Balkon des königlichen Schlafzimmers. Sie folgen in ihrem Aufbau den gartenseitigen Fassaden des Schlosses, sind aber schlichter und mit weniger aufwändigem Bauschmuck gestaltet. Interessanterweise ähneln die Hoffassaden des Schlosses in dieser Form der unter Ludwig XV. zur Mitte des 18. Jahrhunderts geplanten, aber nicht realisierten Neugestaltung der Versailler Stadtfassaden. Entgegen der klassischen barocken Architekturtheorie diente der Ehrenhof Herrenchiemsees nie als Hauptzugang zum Schlossgebäude, da der geplante Schiffsanleger im Osten der Herreninsel nicht gebaut wurde und Besucher über den Anleger im Norden der Insel direkt zur Gartenfront des Schlosses gelangen.

Das unvollendete Schloss

Schloss Herrenchiemsee vor dem Abriss des Nordflügels (links), Zeichnung von 1887

Die Bauarbeiten an Herrenchiemsee kamen aufgrund der Finanzierungsschwierigkeiten ab 1886 weitgehend zum Erliegen, zu jener Zeit war erst der dreiflügelige Hauptbau vollendet. Das Schloss ist in seinem heutigen Umfang nur ein Torso, denn die ursprünglichen Entwürfe sahen ein sehr viel umfangreicheres Bauwerk in Anlehnung an die vielflügelige Gesamtanlage des Versailler Schlosses vor. Wie dieses, sollte auch Herrenchiemsee im rechtwinkligen Anschluss an den Nord- und den Südtrakt des hufeisenförmigen Hauptgebäudes zwei 124 Meter lange Seitenflügel sowie ostwärts gerichtete Hofbauten erhalten. Während die ausgedehnten Nord- und Südflügel in Versailles aus jeweils einem stadt- und einem gartenseitigen langen Trakt bestehen, die durch Querbauten mehrfach miteinander verbunden sind, sahen die Pläne für Herrenchiemsee eine reduzierte Variante aus jeweils einem einzelnen Gebäudeflügel vor. Der nördliche Bau, der rechtwinklig an den heutigen Nordtrakt des Corps de Logis anschloss, befand sich zum Zeitpunkt des Todes Ludwigs II. bereits im Rohbau, für den symmetrischen Südflügel waren bis dahin lediglich die Fundamente gelegt. Weil es für den leerstehenden Gebäuderiegel kein sinnvolles Nutzungskonzept gab und auch um die Symmetrie des Schlosses zu wahren, wurde der Nordflügel 1907 wieder abgetragen, sodass sich das Schloss seitdem in U-förmiger Gestalt präsentiert.

Das im Rohbau verbliebene nördliche Treppenhaus

Wie im Vorbild, war auch auf Herrenchiemsee eine aus dem äußeren Nordflügel ragende Schlosskapelle geplant. Die Schlosskapelle, die Verlängerungsbauten des Hofs und die östlich des Hofs geplanten Marställe waren bis 1886 noch nicht begonnen und gelangten somit nie über das Entwurfsstadium hinaus. Ein als symmetrisches Pendant zur Schlosskapelle gedachtes Theater im Südflügel wurde 1876 noch vor Baubeginn wieder aus den Plänen gestrichen. Für die Innenräume des Schlosses war von vornherein nur der Ausbau der königlichen Wohn- und Repräsentationsräume vorgesehen, der bis 1885 weitgehend abgeschlossen war. Für alle weiteren Räumlichkeiten existierte kein Nutzungskonzept, und so verblieben die übrigen Zimmerfluchten zum Teil bis in die Gegenwart im Rohbauzustand. Einige der leeren Räume des Südflügels nahmen im 20. Jahrhundert das König-Ludwig-Museum auf. Die leerstehenden Räume des Nordflügels wurden ab 2009 mit technischer Infrastruktur versorgt und sollen künftig als Ausstellungsflächen dienen. Im Sommer 2011 fand dort eine große Landesausstellung über Ludwig II. und seine Zeit statt.

Stilistische Einordnung

Schloss Herrenchiemsee gehört zu den letzten großen Schlossbauten im deutschen Sprachraum. Das Bauwerk bildet eine nahezu einzigartige Ausnahme in der nachahmungsfreudigen Architekturlandschaft des 19. Jahrhunderts. Anders als die meisten Werke der Epoche ist es keine romantische Neuschöpfung im Sinne des Historismus wie zum Beispiel Schloss Neuschwanstein oder Schloss Stolzenfels, sondern in seiner äußeren Gestalt eine nur im Detail überarbeitete Nachahmung eines bereits bestehenden Gebäudes. Es ist jedoch auch nicht als reine Kopie zu verstehen, sondern es führt das stilistisch uneinheitliche Vorbild des 17. und 18. Jahrhunderts zu einer dort nicht erreichten Einheit zu Ende.

Dem Vorbild nachgeahmt sind die im Stil des klassizistischen Barocks gestaltete Gartenfassade und die Paraderäume, die auf eklektizistische Weise um die neugeschaffene Hoffassade, die im Stil des Rokoko gehaltenen privaten Wohnräume und die technischen Errungenschaften des 19. Jahrhunderts, wie den versenkbaren Speisetisch und das großzügige Glasdach des Treppenhauses, ergänzt wurden. Obwohl in seiner geplanten Gestalt nicht vollendet, wird das blockhafte Gebäude in seiner heutigen Form als ästhetisch einheitlich beschrieben.

Die Innenräume

„Wie Sie wüßten, kommen die großen Appartements im Style Ludwigs XIV, die kleinen Appartements im Style Ludwigs XV.“

– Ludwig II. in einem Brief an seinen Hofsekretär Ludwig von Bürkel, 1879  [1]

Grundriss der geplanten Gesamtanlage, in der oberen Bildhälfte die nicht realisierten Flügelbauten

Die unter Ludwig II. vollendeten Innenräume befinden sich fast ausschließlich im mittleren Stockwerk des Schlosses. Das Attika- und das Erdgeschoss verblieben damals im Rohbau ohne Ausstattung. Eine Ausnahme bildeten nur das Vestibül, das Marmorbad mit dem benachbarten Ankleidezimmer und der Mechanikraum des Speisesaals im unteren Stockwerk. Die Ausstattung der Zimmer und Salons erfolgte in zwei Abschnitten: Die nach Versailler Vorbild gestalteten neun Repräsentationsräume stattete Georg von Dollmann bis 1881 aus, die königlichen Wohnräume schufen Julius Hofmann und Franz Paul Stulberger bis 1885. Die Gemälde des Schlosses schufen unter anderem Wilhelm Hauschild, Ferdinand von Piloty, Ludwig Lesker und Franz Widnmann. Ludwig II. ließ die an der Ausstattung beteiligten Künstler zum Teil nach Versailles reisen, damit sie vor Ort die Vorlagen studieren konnten. Die Wand- und Deckengemälde der Paradezimmer übernehmen thematisch weitgehend den Inhalt der entsprechenden Vorbilder: Das Leben und Wirken des französischen Sonnenkönigs sowie Szenen und Allegorien aus der Römischen und der Griechischen Mythologie. Die Wohnräume, denen ein entsprechendes Versailler Vorbild fehlt, führen die Motive aus der Mythologie fort und sind um Szenen aus dem Leben Ludwigs XV. und des Hofalltags in Versailles ergänzt. Die Möblierung Herrenchiemsees erfolgte ohne Bezugnahme auf das Versailler Vorbild, dessen Ausstattung infolge der Revolutionen von 1789 und 1848 durch Verkäufe und Plünderungen zu einem großen Teil verloren ging.

Wie bereits Neuschwanstein und Linderhof ließ Ludwig II. auch Schloss Herrenchiemsee mit moderner Technik ausrüsten. Viele Innenräume von Versailles ließen sich aufgrund ihrer Größe oder fehlender Kamine kaum bis gar nicht heizen, für Schloss Herrenchiemsee war dagegen zeitgemäßer Komfort vorgesehen: Damit die Beheizung der Räume nicht ausschließlich über Kamine erfolgen musste, erhielt das Schloss eine Warmluftheizung, deren große Kesselanlage sich im Kellergewölbe befindet.

Die Paraderäume

Die Paraderäume des Schlosses befinden sich entlang des auf den Garten ausgerichteten Haupttrakts, sowie an der West- und Südseite des Hofs. Sie bilden das Herzstück Herrenchiemsees und standen mit Variationen des Versailler Spiegelsaals und des dortigen Prunkschlafzimmers von Anfang an im Mittelpunkt der Pläne für Meicost Ettal. Die Raumfluchten der Paradezimmer zitieren die unter Ludwig XIV. im Stil desLouis-quatorze eingerichteten Staatsgemächer, des Appartement du Roi, unterscheiden sich jedoch zum Teil in Größe, Ausstattung und Lage. Die Bedeutung, die der König diesen Räumen zumaß, wird schon darin ersichtlich, dass erste Aufträge für Stoffe und Bezüge bereits 1875, also drei Jahre vor der Grundsteinlegung des Schlosses erteilt wurden. Die Zimmer dienten während seines kurzen Aufenthalts nur als begehbares Denkmal, eine Funktion als wirkliche Staatsgemächer mussten die Räumlichkeiten nicht erfüllen.

Historische Aufnahme der Gesandtentreppe um 1900

Der erste Raum der Paradezimmer ist das große Treppenhaus im Südflügel. Es handelt sich um eine Nachahmung der Escalier des Ambassadeurs, der einstigen Gesandtentreppe des Versailler Vorbilds. Die Lage der Herrenchiemseer Treppe im Südtrakt entspricht in Versailles eigentlich der sehr viel kleineren Königinnentreppe, die zweiläufige Gesandtentreppe lag dort spiegelsymmetrisch im Nordflügel, wo sich im bayerischen Schloss das bis in die Gegenwart unvollendete nördliche Treppenhaus befindet. Das Vorbild wurde in Versailles bereits im 18. Jahrhundert zugunsten weiterer Wohnräume ausgebaut, konnte aber anhand von zahlreichen Stichen und Plänen in Herrenchiemsee nahezu vorbildgetreu rekonstruiert werden. Eine Abweichung bildet lediglich das von einer großen Eisen- und Glaskonstruktion gebildete moderne Oberlicht. Auf das Treppenhaus folgen entlang der Südseite des Hofs der nach den königlichen Leibwachen benannte Hartschiersaal, welcher der Versailler Salle des Gardes nachempfunden ist, und das erste Vorzimmer, dem in Versailles die Première Antichambre entspricht. Dieses Vorzimmer, das im französischen Schloss den öffentlichen Mahlzeiten des Königs diente, wurde dort auch als Salon des großen Gedecks bezeichnet. Auf das erste folgt das zweite Vorzimmer, der sogenannte Ochsenaugensaal, der seinen Namen von zwei großen ovalen Fensteröffnungen in der Gesismzone erhielt. Der Ochsenaugensaal befindet sich hinter der westlichen Hoffassade und ist größer dimensioniert als das Vorbild in Versailles, was Dollmann durch eine Verkleinerung des benachbarten Lichthofs erreichen konnte. Innerhalb des französischen Hofzeremoniells diente der Ochsenaugensaal vor allem als Wartesalon, in dem sich die Höflinge morgens vor dem Lever des Königs aufhielten, in Herrenchiemsee diente er hingegen wie die übrigen Paraderäume lediglich als privates Schaustück.

Auf das zweite Vorzimmer folgt als Zentrum des Schlosses das große Prunkschlafzimmer. Es entspricht in seiner Lage dem berühmten Schlafzimmer des Sonnenkönigs in Versailles, das dort ab 1701 in der Schlossmitte seinen Platz erhielt. Als Ort des Lever und des Coucher, des Aufstehens und Schlafengehens des Königs, stand es im Mittelpunkt des Versailler Hofalltags, und Ludwig II. legte auf diesen Raum, den er als Schlafzimmer niemals nutzte, besonderen Wert. Die zeichnerischen Entwürfe ließ er durch Christian Jank und Angelo Quaglio als plastische Modelle ausführen und mehrfach überarbeiten. Der Raum in Herrenchiemsee übertrifft den Raum des Vorbilds an Größe und weicht auch mit seiner prunkvolleren Ausstattung vom Versailler Schlafzimmer ab. So sind beispielsweise die farbigen Lünetten und auch das durch eine Balustrade vom übrigen Raum getrennte Prachtbett Neuschöpfungen, die es im französischen Schloss in dieser Form nicht gibt. Als farbliche Grundtöne herrschen Gold und vor allem Rot vor, das im Schloss die Symbolfarbe des Sonnenkönigs ist. Das Schlafzimmer war als erster Raum des Schlosses bereits 1881 fertiggestellt und konnte dem dafür angereisten König am 18. September übergeben werden. An das Schlafzimmer schließt sich der sogenannte Beratungssaal an, der in seiner Lage und Dekoration dem erst unter Ludwig XV. geschaffenen Ratskabinett in Versailles entspricht. Der Saal übertrifft die Ausstattung des Vorbilds durch aufwendigere Gesimsfelder und das Plafondgemälde.

Blick durch die große Spiegelgalerie in Richtung des Salons des Friedens

Den Höhepunkt der Paraderäume bildet der große Spiegelsaal, der mit seinen Eckräumen, den Salons des Friedens und des Kriegs, sowohl gestalterisch als auch thematisch eine Einheit bildet. Die Spiegelgalerie hat eine Länge von 75 Metern, womit sie den 73 Meter langen Spiegelsaal in Versailles übertrifft. Die Raumflucht mit den beiden untergeordneten Nebensälen ist 98 Meter lang und belegt damit die gesamte Westseite des Schlosses. Wie beim Vorbild ist auch auf Schloss Herrenchiemsee das von außen sichtbare Attikageschoss der Gartenfassade nur architektonischer Schein, da sich hinter den eckigen Fenstern das Gewölbe des fast 13 Meter hohen Raums befindet. Den 17 großen Spiegeln des Saals stehen 17 Rundbogenfenster gegenüber, die einen Blick auf die Gartenanlagen gewähren. Durch diese Anordnung wird das Licht im gesamten Spiegelsaal reflektiert und bricht sich in den Kristallelementen der 33 Deckenlüster und 44 Standkandelabern. Die Dekoration des Saales besteht neben den Spiegeln, Lüstern und Kandelabern aus vergoldeten Gips- und Holzelementen sowie aus Marmorbüsten römischer Kaiser und den Statuen römischer Götter. Die Deckengemälde sind, abgesehen von kleineren Abweichungen, Kopien der Gemälde aus der Spiegelgalerie von Versailles. Sie zeigen die wichtigsten Kriegszüge Ludwigs XIV. Eine Besonderheit der Deckengemälde besteht im plastischen Schmuck, der nach bayerischer Art an einigen Stellen aus den Gemälden heraustritt und den es im Vorbild nicht gibt.

Die Wohnräume des Königs

Die Wohnräume Ludwigs II. folgen auf die Paradezimmer und befinden sich hofseitig im Mittelgeschoss des Nordflügels. Die königliche Wohnung besteht aus drei großen Zimmern, zwei Kabinetten und mehreren Durchgangsräumen. Ihre ungefähre Lage entspricht dem im Stil des Louis-quinze gehaltenen Petit Appartement von Ludwig XV. in Versailles. Der Nachfolger des Sonnenkönigs bildet auch das inhaltliche Leitmotiv in der Ausstattung und den Themen der Gemälde. Die Räume sind eine Neuschöpfung des Neorokoko und sind, anders als die Paradezimmer, zwar eine Interpretation, aber keine Nachahmung des französischen Vorbilds.

Blick durch das Speisezimmer mit dem versenkbaren Esstisch

Von den Paradezimmern kommend, beginnt die Flucht der Wohnräume mit dem königlichen Schlafzimmer, dem wirklich von Ludwig II. bei seinem Aufenthalt im Schloss genutzten Schlafraum. Das prunkvolle Bett steht in einem Alkoven und ist durch eine niedrige Balustrade vom übrigen Raum getrennt. Der Schlafraum ist in seinen Dimensionen zwar bescheidener als das Prunkschlafzimmer im Hauptflügel, aber ebenso aufwändig gestaltet. Es schließt in seiner Ausstattung an das bereits für Linderhof entwickelte zweite Rokokoan. Als Kontrastfarbe zu den weißen und goldenen Flächen dienen dunkelblaue Töne, die im Schloss Herrenchiemsee als Symbolfarbe für den Bauherrn Ludwig II. stehen. Das Schlafzimmer ist über eine Geheimtreppe mit dem darunter liegenden Ankleidezimmer und dem ovalen Marmorbad verbunden. Auf das Schlafzimmer folgt das sogenannte Arbeitszimmer. Für diesen Raum wurde in Paris innerhalb von zwei Jahren bis 1884 eine Kopie des Bureau du Roi von Johann Heinrich Riesener geschaffen, ein Schreibtisch, der zu den berühmtesten Möbelstücken Versailles‘ gehörte und auf dessen Fertigstellung Ludwig XV. mehr als zehn Jahre warten musste. Dem Arbeitsraum benachbart ist das ovale Esszimmer, das nach einem ähnlichen Salon im Hôtel de Soubise gestaltet ist. Es ist wie das Esszimmer in Linderhof mit einem mechanisch betriebenen Tischlein-Deck-Dichversehen, einer Hubvorrichtung, die es dem König ermöglichte, ohne die Anwesenheit von Bediensteten zu speisen; der Esstisch konnte mit einem Teil des Fußbodens um eine Etage abgesenkt und dort gedeckt werden. Die Speisen mussten in der Hofküche des Alten Schlosses zubereitet und ins Neue Schloss gebracht werden, da es dort zu Lebzeiten des Königs noch keine funktionierende Küche gab.

Das sogenannte Blaue Kabinett und das unvollendete Porzellankabinett ergänzen die drei Wohnräume des Königs. Die kleinen Salons sollten als Ruhe- und Schauräume dienen und sind hinter der großen Zimmerflucht um den Lichthof gruppiert. Der aufwändige Kronleuchter des Porzellankabinetts ist, wie auch jener des Speisezimmers, ein Einzelstück aus derMeißener Manufaktur. Als letzter Raum des Wohntraktes befindet sich die Kleine Spiegelgalerie am Ende des Nordflügels, die als 20 Meter lange Verbindung zum unvollendeten nördlichen Treppenhaus dient und in ihrem Grundkonzept mit jeweils einem Vorraum am Anfang und am Ende an die Große Spiegelgalerie anknüpft. Die Kleine Spiegelgalerie hatte ein ähnliches Pendant in Versailles, das im Rahmen eines Umbaus dort aber 1752 zusammen mit der Gesandtentreppe abgebrochen wurde.

Der Schlossgarten

Entwürfe und Vorarbeiten

Für die Gestaltung des Schlossparks wurde der königliche Hofgärtner Carl von Effner verpflichtet, ein Schüler des Gartenarchitekten Peter Joseph Lenné. Effner legte die ersten Entwürfe 1875 vor. Wie das Schloss, waren auch die Gartenanlagen in ihrer geplanten Gestalt zwar als Zitat, aber nicht als genaue Kopie des Versailler Vorbildes gedacht, die sich durch die geringen Höhenunterschiede der Insel und den begrenzten Platz auch nicht in vollem Umfang hätte verwirklichen lassen. Effners Entwürfe konnten aus Kostengründen nicht in ihrem geplanten Umfang umgesetzt werden, die Herrenchiemseer Gärten verblieben wie das Schloss unvollendet.

Der nach dem Schema klassischer Barockgärten entworfene Schlosspark sollte in seiner Grundstruktur kreuzförmig angelegt werden und die niedrige Terrasse vor dem Schloss den Mittelpunkt bilden. Die aus Versailles adaptierte Hauptachse führte in ostwestlicher Richtung durch die Insel und sollte von einer untergeordneten nordsüdlichen Achse gekreuzt werden. Das westlich gelegene Hauptgartenparterre war als direkte Reminiszenz an das Vorbild geplant, mit einer Kopie der Brunnen der Latona und desApollon, den großen Wasserbecken und den Broderieparterres vor dem Corps de Logis. Die zahlreichen Boskette des Vorbilds waren in diesem Plan auf vier große und ein halbes Dutzend kleinerer Boskette reduziert, deren individuelle Gestaltung ohne Bezugnahme auf Versailles erfolgt wäre. Nördlich des Schlosses war eine kleinere Variante des Versailler Nordparterres geplant. Wie dort sollte auch auf Herrenchiemsee ein dem Meeresgott Neptun gewidmetes Wasserbecken den Abschluss bilden. Der südliche Gartenbereich kopiert das aufwändige Parterre du midi und das Orangerieparterre in Versailles, wobei auf die Anlage der im Original in einen Hang gebautenOrangerie aufgrund des flachen Geländeniveaus verzichtet werden musste. Für den östlichen Parkbereich hinter dem Corps de Logis musste für den Herrenchiemseer Garten eine eigene Lösung konzipiert werden, da sich beim Vorbild dort die Stadt befindet. Die Nachahmungen der Versailler Place des Armes samt den Marstallbauten sollten in Herrenchiemsee eine große Hoffläche bilden, die ringsum von weiteren Parterres und Bosketten flankiert worden wäre. Wo sich in der französischen Stadt die Hauptzufahrt zum Schloss befindet, war in Herrenchiemsee eine 900 Meter lange Avenue mit abschließendem Rondell in Richtung des Sees geplant, an deren Ende sich die Schiffsanlegestelle befinden sollte.

Die Arbeiten an den Gartenanlagen begannen zeitgleich mit dem Bau des Schlosses 1878. Der Aushub des Schlosskellers diente zur Einebnung des Geländes des Wasserparterres, für die Versorgung der Wasserspiele wurde am Ostufer der Insel ein Pumpwerk errichtet. Die Erdbewegungen zogen sich bis ins Jahr 1881 hin, die eigentliche Gartenanlage nahm erst von diesem Zeitpunkt Gestalt an. Durch die zunehmenden Probleme bei der Finanzierung wurde der Ausbau des Schlossgartens nicht vollendet. Bis zum Tod des Königs war nur das Hauptparterre ohne die flankierenden Boskette angelegt. Auf den Ausbau des nördlichen, des südlichen und des östlichen Gartenbereichs wurde schließlich ebenso verzichtet wie auf die Anlage des Apollobassins. Ludwig II. beabsichtigte zudem, die Insel durch eine rundum führende Parkeisenbahn zu erschließen, doch auch dieses Vorhaben wurde nicht mehr ausgeführt. Nachdem die Arbeiten an den Gärten zwischenzeitlich zum Erliegen gekommen waren, führte Effners Nachfolger Jakob Möhl die bereits vorhandenen Bereiche bis 1890 abschließend aus.

Heutige Gestalt

Der Garten ist in seiner heutigen Gestalt eine weitgehend identische Nachahmung der im 17. Jahrhundert von André Le Nôtre geschaffenen westlichen Versailler Hauptachse. Der Schlossgarten in der Mitte der Herreninsel umschließt eine große rechteckige Fläche von etwa 120×400 Metern, deren östliches Drittel das Schlossgebäude einnimmt. Die gesamte Gartenanlage, die östliche Avenue und der westlich gelegene Stichkanal zum See rahmt eine doppelte Lindenallee. Anlässlich derLandesgartenschau 2010 erhielt der Garten von 2008 bis 2009 eine neue Bepflanzung. Neben mehr als 10.000 Blumen wurden erstmals auch zahlreiche Zitrusbäumeaufgestellt, wie sie in den Gartenplänen des 19. Jahrhunderts bereits vorgesehen waren.

Vor dem Schloss liegen zwei große Wasserbecken, die das Parterre d’eau des Vorbilds adaptieren. Die Bassins des Fama- und des Fortunabrunnens konnten noch zu Lebzeiten Ludwigs II. fertig gestellt werden. Sie erwiesen sich jedoch als undicht und wurden nach seinem Tode mit Rasen bepflanzt. Eine Rückführung in den Ursprungszustand erfolgte erst von 1991 bis 1994. Die zentralen Figurenfelsen mit den Darstellungen des Glücks und des Ruhmes sind eine Abweichung vom Vorbild, sie entstammen nicht dem Schloss von Versailles, sondern sind Interpretationen der Wasserspiele des Palacio Real von La Granja.Beide Brunnenaufbauten waren viele Jahrzehnte defekt, sie sind erst seit 1994 saniert und seitdem in den Sommermonaten in Betrieb. Neben den großen Bassins gehören zwei kleinere Marmorbrunnen zumParterre d’eau, die sich seitlich am Übergang zum Parterre der Latona befinden und die mit wasserspeienden Löwen und Figuren der Diana, der Venus, der Amphitrite und der Flora geschmückt sind.

Unterhalb des Wasserparterres führt eine Freitreppe zum ovalen Brunnen der Latona und zu den sich davor ausbreitenden, mit Blumenrabatten geschmückten Rasenparterres, aus dem Garten führt ein Tapis vert in Richtung Westen zur Fläche des unvollendeten Apollobrunnens. Die beiden Bassins können im Vorbild als Allegorien auf Ludwig XIV. betrachtet werden, der als Sonnenkönig mehrfach mit dem Lichtgott Apollon verglichen wird. Wo in Versailles der kreuzförmige Große Kanal beginnt, ist auf Herrenchiemsee ein Stichkanal in Richtung des Sees angelegt. Nach einer Absenkung des Wasserstands des Chiemsees im Jahr 1904 versumpfte der Kanal, sein Bett wurde von 1993 bis 1997 nach einer weiteren Regulierung des Wasserstands neu ausgehoben.

Das bewaldete Gelände außerhalb des formalen Schlossgartens verblieb weitgehend in seinem ursprünglichen Zustand und sollte als sogenannter Inselpark einen Kontrast zu den formalen Gärten bieten. Die rund 230 Hektar große Insel erschließt ein knapp sieben Kilometer langer Rundweg, der an verschiedenen Stellen durch Sichtachsenden Blick auf das Schloss und die Gärten gewährte, die aber zum großen Teil zugewachsen sind. Die Sichtachsen der Gegenrichtung des Schlossbereichs endeten vor Baum- und Heckenwänden, da der König ausdrücklich keine Aussicht auf die umgebende Landschaft des Chiemsees wünschte.

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner